„Ich trage dafür Sorge, dass die Kräfte des Friedens und der Gerechtigkeit sich durchsetzen”, sagte der Gouverneur von Missouri, Jay Nixon, am Samstag, den 16. August, nach einer Woche der Auseinandersetzungen, die durch den Polizeimord an dem Jugendlichen Michael Brown entfacht wurden. „Wenn wir Gerechtigkeit erreichen wollen, müssen wir zuerst den Frieden sichern.” Funktioniert das so – zuerst zwingt man Frieden auf, dann erreicht man Gerechtigkeit? Und was bedeutet „Kräfte des Friedens und der Gerechtigkeit“? Über welchen Frieden und welche Gerechtigkeit reden wir hier? Wie jede*r weiß, hätten wir nie vom Mord an Michael Brown gehört, hätte es die Krawalle in Ferguson nicht gegeben. Weiße Polizist*innen töten jedes Jahr über hundert schwarze Menschen, ohne das die meisten von uns etwas davon mitbekommen. Diese Stille – die Abwesenheit von Protest und Unterbrechung – ist der Frieden, der, so will uns Gouverneur Nixon Glauben machen, Gerechtigkeit hervorbringen wird. Das ist dieselbe Geschichte, die wir von den Autoritäten immer zu hören bekommen. Zuerst müssen wir uns ihrer Kontrolle unterwerfen; dann werden sie sich mit unseren Sorgen beschäftigen. Sie behaupten beharrlich, dass all die Probleme, mit denen wir uns herumschlagen müssen, durch unsere Kooperationsverweigerung verursacht werden. Dieses Argument klingt am überzeugendsten, wenn es in die Rhetorik der Demokratie verpackt wird: das sind „unsere” Gesetze, wir sollten die Klappe halten und gehorchen – „unsere” Cops, die uns erschiessen und mit Pfefferspray einsprühen – „unsere” Politiker*innen und Anführer*innen, die uns anbetteln, wieder zum Normalzustand überzugehen. Aber zum Normalzustand zurückzukehren bedeutet, anmutig über die Leichen unzähliger Michael Browns zu schreiten und sie so dem Friedhof und dem Vergessen zu überlassen. Gouverneur Nixons Frieden ist das, was passiert, nachdem Menschen mit Zwang befriedet wurden. Seine Gerechtigkeit ist was auch immer es braucht, um uns dazu zu verleiten, Frieden unter diesen Bedingungen zu akzeptieren – Petitionen, die direkt in den Mülleimer wandern, Gerichtsprozesse, bei denen nie mehr als ein kleiner Klaps für die Mörder*innen in Uniform herauskommt, Kampagnen, die vielleicht die Karriere einer Aktivist*in oder einer Politiker*in vorantreiben, aber dem Töten unbewaffneter schwarzer Menschen nie ein Ende bereiten werden.
Erlaube uns, eine andere Idee vorzuschlagen, wie man mit Konflikten umgehen könnte – wir würden es die anarchistische Herangehensweise nennen. Die grundlegende Idee ist einfach. Echter Frieden kann nicht aufgezwungen werden; er kann nur als Konsequenz aus der Lösung eines Konflikts entstehen. Dementsprechend die klassische Parole: no justice, no peace. Sich selber überlassen neigt ein unausgeglichener Staat dazu zum Gleichgewicht zurückzukehren. Um Ungleichgewichte aufrecht zu erhalten, muss Gewalt angewendet werden. Je größer die Ungleichheit, desto mehr Gewalt ist notwendig, sie zu erhalten. Dies gilt in der Physik genauso wie in der Gesellschaft. Das heißt es kann nicht arme und reiche Menschen ohne Polizei geben, die den ungleichen Zugang zu Ressourcen gewährleistet. Es kann kein Weißsein geben, das diese Klassentrennung stabilisiert ohne eine gewaltige Infrastruktur rassistischer Gerichte und Gefängnisse. Du kannst nicht zwei einhalb Millionen Menschen – nahezu eine Million von ihnen schwarze Menschen – hinter Gittern lassen ohne die permanente Anwendung von potentiell tödlicher Gewalt. Du kannst nicht das Gesetz, das das Wohlergehen der guten Liberalen, wie Gouverneur Nixon, schützt, durchsetzen ohne Polizist*innen wie Darren Wilson, die hunderte von schwarzen Menschen töten. Die Militarisierung der Polizei ist keine Verirrung- sie ist die notwendige Bedingung einer Gesellschaft, die auf Hierarchie und Dominanz beruht. Es ist nicht nur die Polizei die militarisiert wurde, sondern unsere gesamte Lebensweise. Jede*r der/die das nicht sieht, lebt nicht im Visier der Pistolenläufe. Dies sind die Kräfte von Frieden und Gerechtigkeit, die Mechanismen, die in einer dramatisch unausgeglichenen sozialen Ordnung „den Frieden erhalten“. Manchmal treten sie als Überwachungskameras, als Wachmänner, als Polizei, die uns stoppt, durchsucht oder erschießt in Erscheinung. Ein anderes Mal, wenn dies zu umstritten geworden ist, treten die Kräfte von Frieden und Gerechtigkeit als die guten Polizisten auf, die scheinen als würden sie sich wirklich für uns interessieren, als aufrichtige Politiker, die alles besser machen wollen- was auch immer es bedarf um die öffentliche Meinung zurück auf Seiten derer, die das Tränengas geschossen haben zu bringen. Wiederum ein anderes Mal sind die Kräfte von Frieden und Gerechtigkeit Anführer_innen der Community, die uns anbetteln die Straßen zu verlassen, uns beschuldigen „Anstifter von Außen“ zu sein oder uns effektivere Wege unseren Zorn herauszulassen versprechen, wenn wir nur kooperieren – alles um direkten, konkreten Kampf gegen Ungleichheit zu verhindern, in Verruf zu bringen oder aufzuschieben. In jedem Fall ist es der gleiche Beschiss: Frieden jetzt, Gerechtigkeit später. Aber wirklicher Frieden ist unmöglich bis wir die gewaltsame Auferlegung von Ungleichheiten beenden. All den Konflikte, die momentan von den Ordnungskräften unterdrückt werden- zwischen Stadtentwickler*innen und Anwohner*innen, zwischen reich und arm, zwischen aufgrund ihrer Hautfarbe privilegierten und allen anderen – muss erlaubt werden an die Oberfläche zu gelangen. Mach es unmöglich für jede*n irgendjemand anderes dazu zu zwingen eine Beziehung zu akzeptieren, die nicht dem eigenen Interesse entspricht: Dann und nur dann wird es einen Anreiz für jede*n geben, Konflikte anzusprechen und zu einer Übereinstimmung zu gelangen. Dies ist der einzige Weg nach vorne, aber es ist eine entmutigende Aussicht. Es ist nicht überraschend, dass Menschen eher diejenigen beschuldigen, die sich erheben als sich damit auseinanderzusetzen wie tief die Spaltung unserer Gesellschaft ist. Das erklärt warum so viele offenbar gut gesinnte Kritiker*innen vorgegeben haben nicht zu verstehen warum sich so viele Menschen an Plünderungen als eine Form des Protests gegen den Mord an Michael Brown beteiligt haben. Die gleiche konstante Auferlegung von Gewalt, die Michael Browns Leben kostete, trennt Millionen wie ihn von den Mitteln, die sie für ihr alltägliches Leben brauchen. Aus dieser Perspektive macht Plünderung völlig Sinn- indem sie die unmittelbaren Probleme der Armut löst, sich gegen die Gewalt der Autoritäten wehrt und verdeutlicht, dass Veränderung mehr sein muss als nur eine Reform der Polizei. Lass es uns nicht denjenigen verübeln, die außer Kontrolle gerieten, um uns an die ungelösten Konflikte unserer Gesellschaft zu erinnern. Im Gegenteil wir sollten dankbar sein. Sie zerstören nicht den Frieden; sie machen einfach nur deutlich dass es keinen Frieden gab, dass es überhaupt nie Gerechtigkeit gegeben hat. Unter enormer Gefahr für sich selbst, machen sie uns ein Geschenk: Die Möglichkeit das Leiden um uns herum zu bemerken und unsere Fähigkeit wiederzuentdecken, uns mit denjenigen zu identifizieren, zu sympathisieren, die es erleben mussten. Wir können Tragödien wie den Tod von Michael Brown nur als solche erfahren, wenn wir andere Menschen sehen, die auf sie als Tragödien reagieren. Anderenfalls, außer wenn uns das Ereignis direkt betrifft, bleiben wir gefühllos. Wenn du willst dass Menschen eine Ungerechtigkeit bemerken, musst du direkt darauf reagieren, wie es die Menschen in Ferguson taten. Du musst nicht auf einen besseren Moment warten, nicht die Autoritäten anflehen, keinen markanten Spruch für Zuhörer*innen die in deiner Vorstellung die öffentliche Meinung repräsentieren formulieren. Du musst unverzüglich zur Aktion übergehen, um zu zeigen dass die Situation sehr ernst ist. Ferguson ist nicht einzigartig- es gibt unzählige dieser Städte in den USA, in denen sich die selben Dynamiken zwischen Menschen und der Polizei abspielen. Die Rebellion in Ferguson wird sicherlich nicht die letzte ihrer Art sein. Diejenigen unter uns, die Gouverneur Nixon sein Programm von Frieden jetzt, Gerechtigkeit später nicht abkaufen müssen sich für die Kämpfe vorbereiten, die sich sehr bald entfalten werden. Auf dass wir uns eines Tages in einer Welt ohne Tränengas treffen, in der Hautfarbe keine Waffe ist.
Übersetzt und vertont von Frequenz A – einem anarchistischem Podcast.